Aktion Gnadentod by Gary K. Wolf

Aktion Gnadentod by Gary K. Wolf

Autor:Gary K. Wolf
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-02-11T23:00:00+00:00


XIX

Herschel fand Louis Morera genau an der gleichen Stelle, an der er ihn vorher gefunden hatte, in der gleichen Absteige, sogar in der gleichen Koje. Auf einem Kärtchen, das mit Klebstreifen auf einer Querstange am Fuße der Koje befestigt war, stand Moreras Name. Zur gegenwärtigen Zeit war er jedenfalls kein Durchreisender mehr. Er hatte sich genug von Herschels Brother Brown zugeteilt, um eine Langzeitpacht zu erwirken.

Herschel machte Estelle auf das Kärtchen aufmerksam. »Oh, süßes Heim.« Er rüttelte Morera wach.

»Ihr habt den Falschen«, protestierte Morera. »Ich bin Dauergast.« Herschel rüttelte ihn fester. »Come on, Louis. Ich bin es, Hersch.«

»Hersch?«

»Ja. Come on, wach auf.«

»Hersch.« Moreras Pupillen weiteten sich derart, daß ein untersuchender Arzt in Verlegenheit gekommen wäre, hätte er die Augenfarbe bestimmen sollen. Er schneuzte sich die Nase in die Finger und wischte die Hand an der Unterseite der Koje ab. »Weißt du, ehe du mich aufwecktest, hatte ich dieses komische Gefühl. Ich hätte schwören können, daß ich starb. Aber weißt du was? Es tat nicht weh. Glaubst du, daß es so sein wird, Hersch? Glaubst du, daß Sterben weniger schmerzhaft ist, als am Leben zu bleiben?« Moreras Nackenmuskeln sprangen in spastischen Zuckungen und zwangen den Kopf, schlaff über die Kojenseite zu hängen. Die geschwollene Zunge platschte ihm ums Kinn.

»Louis. Louis, sieh mich an.« Herschel wiegte Moreras Kopf in seinen Armen, während Estelle ihm ihre Feldflasche an die Lippen führte. »Du mußt uns helfen.«

Morera würgte an dem Wasser, hustete es durch die Nase wieder aus. Estelle riß ein Stück von ihrem Hemdzipfel ab, tränkte es mit Wasser und steckte es Morera in den Mund, um ihn nach eigenem Belieben die Feuchtigkeit aussaugen zu lassen.

»Gerade wie in alten Tagen, Louis. Ich habe einen Job für dich, und ich brauche deine Hilfe.« Morera würgte den schleim- und blutbefleckten Fetzen aus. »Ich kann gar nichts mehr tun, Hersch.« Er umfaßte seine Schultern und rollte sich zu einem Fötusbündel zusammen. »Ich nutze keinem zu irgendwas mehr.«

»Louis, ich brauche dich zum Autofahren.« Herschel hielt Moreras Kopf zwischen den Händen und benutzte die Daumen, um die hängenden Augenlider des Mannes offenzuhalten. »Fahr mir ein Auto, Louis!«

Morera kämpfte, ohne Herschels Hilfe die Augen aufzuhalten. »Ich habe schon lange nicht mehr gefahren, Hersch.«

»Ich wette, du hast den Kontakt nicht verloren.«

Morera schwang die Beine über die Kante der Pritsche und setzte sich aufrecht, schwankte ein wenig, richtete sich aber wieder auf, ehe er vornüber fiel.

»Willst du wirklich, daß ich einen Wagen für dich fahre?«

»So ist es.«

Seine Hände fielen auf den Drogenbeutel, der sich in seinen Shorts nach außen beulte, und er stellte die unvermeidliche Frage aller Junkies: »Was springt für mich heraus?«

»Du hilfst vielen andern Gerrys.«

Offenbar war das keine große Verlockung. Morera hob die Füße zurück ins Bett und streckte sich aus. »Nee, Hersch, ich glaube kaum, daß ich…«

Herschel machte ihm Aussichten. »Und du wirst nach Kanada mitgenommen, Louis. Nonstop-Expreß-Fahrt. Geradeaus über die Grenze.«

»Kanada?« Er setzte sich wieder aufrecht. »Man sagt, daß Gerrys in Kanada fahren können. Ich meine legal.«

»Das hörte ich auch.«

Morera rieb sich das braun-weiß gestoppelte Kinn. Kreidige Hautschuppen blätterten ihm auf den Handrücken ab.



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